In der Schweiz werden noch immer zu oft Antibiotika verschrieben. Hausärztinnen und -ärzten stehen neuerdings Hilfsinstrumente zur partizipativen Entscheidungsfindung bei der Antibiotikavergabe zur Verfügung Diese erleichtern die Beratung ihrer Patientinnen und Patienten und eignen sich für Fortbildungen in Qualitätszirkeln. Ein Forschungsteam des Berner Instituts für Hausarztmedizin wurde für dieses innovative Tool von der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin jüngst ausgezeichnet.
Im europäischen Vergleich hat die Schweiz einen eher niedrigen Antibiotikaverbrauch. Allerdings gibt es auch hier noch Raum für Verbesserungen. Insbesondere in den französisch- und italienischsprachigen Regionen ist der Antibiotikaverbrauch deutlich höher als in der Deutschschweiz. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Berner Instituts für Hausarztmedizin (BIHAM) schätzen, dass rund die Hälfte der Antibiotikaverschreibungen unnötig sind, weil sie selbstlimitierende (keine Therapie benötigende) oder virale Infektionen betreffen.
Unterstützung bei der Beratung
Ein Forschungsteam des BIHAM hat sich zum Ziel gesetzt, die Situation rund um Antibiotikaverschreibungen zu verbessern. «Partizipative Entscheidungsfindung bei der leitliniengerechten Behandlung selbstlimitierender Infektionskrankheiten in Schweizer Hausarztpraxen» - so lautet der Titel des Forschungsprojekts. In der zweijährigen Entwicklungszeit sind praxistaugliche Hilfsmittel entstanden, die jetzt Haus- und Kinderärztinnen und -ärzten für die Beratung zur Verfügung stehen.
Weniger Antibiotika und eine Auszeichnung
Beim Beratungsmodell des BIHAM werden Patientinnen und Patienten in den Entscheidungsprozess einbezogen. Das hat sich bereits bewährt, denn gut informiert sind diese eher bereit, Therapie-Möglichkeiten ohne Antibiotika in Betracht zu ziehen. Das Projekt trägt so auf innovative Weise dazu bei, den Antibiotikaeinsatz in der Schweiz zu reduzieren. Dies hat die Forschungsstiftung der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGAIM) dazu bewogen, die Weiterentwicklung und Evaluation des Projektes mit einem Preisgeld von 50'000 Franken auszuzeichnen.
Einbezug von Fachpersonen und Patientinnen/Patienten
Erarbeitet wurden die Tools während der zweijährigen Entwicklungszeit in Zusammenarbeit mit einer breit zusammengesetzten interprofessionellen Gruppe von Fachleuten aus den Bereichen Epidemiologie und Infektiologie. In der Gruppe vertreten waren auch Patientinnen und Patienten. In drei Hausarztpraxen wurden die Hilfsmittel auf ihre Praxistauglichkeit getestet, während die in das Projekt involvierten Hausärztinnen und Hausärzte mit ihren Feedbacks dazu beitrugen, die Tools sukzessive zu verbessern.
Erweiterter Werkzeugkasten
Derzeit decken die Hilfsmittel folgende Indikationen ab, für die in der ambulanten Versorgung oft Antibiotika verschrieben werden:
- Mittelohrentzündung (Otitis media)
- Halsschmerzen (Tonsillopharyngitis)
- Akuter einfacher Harnwegsinfekt
Mit Hilfe des Preisgeldes und weiterer Unterstützung durch das BAG wird das Team des BIHAM die Hilfsmittel auf zusätzliche Indikationen ausweiten. Zusätzlich wird ein Moderationsleitfaden für Qualitätszirkel erarbeitet.
Die Hilfsmittel können auf der Webseite des «Berner Institut für Hausarztmedizin» auf Deutsch, Französisch und Englisch heruntergeladen werden. Für jede Indikation steht eine zweiseitige evidenzbasierte Zusammenfassung wichtiger Fakten zur Verfügung sowie ein Informationsblatt für die Konsultation, in dem in gut verständlichen Grafiken die Vor- und Nachteile einer Therapie mit und ohne Antibiotika aufgezeigt werden. Die Hilfsinstrumente eignen sich optimal als Denkanstoss und Trainingshilfe in Qualitätszirkeln.
Letzte Änderung 11.09.2023