«Jede unnötige Behandlung mit Antibiotika ist eine Behandlung zu viel»

Wieso ist das Thema Infektionsprävention und -kontrolle so wichtig für die Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen im Bereich der Tierarztpraxen?

Resistenzen und resistente Bakterien machen nicht halt vor der Veterinärmedizin. Das heisst, wenn wir resistente Bakterien in der Humanmedizin sehen, sehen wir diese irgendwann auch in der Veterinärmedizin, sowie in der Umwelt und umgekehrt. Wir sehen bereits Infektionen bei Tieren mit Bakterien, wo wir nur noch ein bis zwei Antibiotika zur Verfügung haben. Befeuert wird dies auch durch die Entwicklung sehr grosser tiermedizinischer Zentren, die eine sehr umfangreiche medizinische Versorgung anbieten. Diese Umgebung bietet eine ideale Situation für die Selektion und Verbreitung resistenter Bakterien. Zuletzt leben insbesondere die Haustiere in sehr engem Kontakt mit ihren Besitzern. Deshalb ist dort das Risiko einer Übertragung zwischen Tier und Mensch nicht zu unterschätzen.

Was sind die drängendsten Probleme, die man angehen müsste?

Wir haben im Rahmen von Forschungsprojekten die Hygienestandards in Kleintierkliniken und Tierarztpraxen untersucht und festgestellt, dass die Hygienestandards sehr stark variieren. Insbesondere in Kliniken mit tiefen Standards, sieht man eine beträchtliche Umgebungskontamination mit resistenten Keimen. Auch die Tiere, die dort stationär behandelt werden, besiedelt mit diesen Keimen auch wieder entlassen werden.

Mit welchen Massnahmen kann man den Problemen begegnen?

Hier braucht es dringend Massnahmen, um die Übertragungsketten in solchen Zentren zu unterbinden. Es braucht nebst umsichtigem Einsatz von Antibiotika auch Hygienekonzepte und optimale Handhygiene durch das Personal. Die Handhygiene des medizinischen Personals ist eine der besten Interventionsmöglichkeiten um die Übertragung resistenter Keime in einer Spitalumgebung zu unterbrechen. Das heisst es braucht Schulungen sowie Equipment für die Handhygiene in den Kliniken. Es braucht generell Hygienekonzepte. Insbesondere in Kliniken und in einfacherem Masse auch in Praxen. Es muss auch erkannt werden, wann Tiere resistente Keime tragen, damit diese isoliert werden können und so die Verbreitung resistenter Keime in dieser Umgebung verhindert wird.

Welche spezifischen Hilfsmittel oder Tools stehen zur Verfügung?

Im Rahmen dieses Forschungsprojektes haben wir ein umfassendes Handbuch zur Infektionsprävention und -kontrolle für Kleintierpraxen und Kliniken erarbeitet. Dieses gibt es auch in Form einer kurzen Broschüre. Alles frei zugänglich auf der Homepage der VetSuisse Fakultät Zürich. Des Weiteren gibt es eine Broschüre für Tierhalterinnen und Tierhalter mit Tipps zum Umgang zur Hygiene mit Haustieren, welche allenfalls Träger resistenter Keime sind. Es gibt mittlerweile auch Leitfäden für Tierärztinnen und Tierärzte, für fast alle Haustier- und Nutztierarten zum Umsichtigen Einsatz von Antibiotika. Insgesamt ein umfassendes Arsenal an Leitfäden, welche frei genutzt werden können.

Beschränkt sich das Problem auf Ihren Bereich? Wo gibt es Überlappungen oder Synergien?

Wir hatten bereits bei den Projekten und Erarbeitung der Unterlagen zur Hygiene eng mit Mikrobiologen und Spezialisten aus der Humanmedizin zusammengearbeitet. Auch bei der Broschüre für Tierhaltende waren Infektiologen aus der Humanmedizin eng involviert. Auch das Handhygienekonzept, welches wir in der Veterinärmedizin anwenden wurde von der Humanmedizin übernommen. Das ist das Konzept der WHO, welches wir schulen können. Entsprechend können wir auch eine App von Swissnoso verwenden, mit welcher wir die Beobachtungen der Handhygiene in den Betrieben durchführen und die Resultate dann direkt anhand verschiedener Personengruppen und Betrieben auswerten können.

Welche Rolle spielt die Nationale Strategie StAR (Antibiotikaresistenzen) und welche Hilfsmittel stellt diese zur Verfügung?

Die Durchführung dieser Forschungsprojekte wäre ohne die Unterstützung Strategie StAR und der Forschungsunterstützung durch die Bundesämter oder des Nationalfonds nicht möglich gewesen. Die Strategie hat uns erst die Erfassung der Situation erlaubt. Sei es bei der Hygiene, aber auch bei der Antibiotikaverschreibung. Es hat dazu geführt, dass all die Leitfäden zu diesen Themen entwickelt werden konnten. Sowie der Entwicklung eines Online-Tools zur Antibiotikaverschreibung für die Tierärzte. Aktuell konnten wir auch ein Forschungsprojekt durchführen, welches uns hilft zu evaluieren, ob die Schulungen zur Hygiene einen Effekt in den Kliniken erzielen. Wir haben dadurch klargesehen, dass solche Schulungen helfen die Hygienestandards und Handhygiene zu verbessern.

Welchen Stellenwert hat die World AMR Awareness Week (WAAW)?

Die «World AMR Awareness Week», die jährlich durchgeführt wird, ist sehr wichtig. Sie hilft, das Problem wieder in das Bewusstsein der Bevölkerung, der Ärzte- und Tierärzteschaft zu tragen. Die Entwicklung schreitet sehr leise voran. Man spricht auch von einer stillen Pandemie. Umso wichtiger ist es, zwischendurch etwas Lärm zu machen, um alle Beteiligten wieder auf die Problematik aufmerksam zu machen. Diese Resistenzproblematik gilt gemäss WHO als eine der zehn grössten Bedrohungen für die öffentliche Gesundheit. Wir tragen alle eine Verantwortung. Die Ärzte, die Tierärzte, die Landwirtschaft aber auch die Bevölkerung sind verantwortlich dafür Antibiotika umsichtig einzusetzen und mit Hygienemassnahmen Infektionsketten unterbrechen.

Letzte Änderung 06.11.2023

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