Mastkälber an die frische Luft

Den Antibiotikaverbrauch senken, das Tierwohl verbessern und die gleiche Mastleistung erreichen: Das Forschungsprojekt «Freiluftkalb» der Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern zeigt, dass dies in der Kälbermast möglich ist. Erfahren Sie mehr dazu im Gastbeitrag von Jens Becker.

Lungenentzündungen treten in der Kälbermast besonders häufig auf und sind oft der Hauptgrund für Antibiotikabehandlungen. Hier muss das Konzept ansetzen, war sich das Forscherteam um Studienleiterin Mireille Meylan einig. Die erste Analyse widmeten sie demzufolge der Frage, weshalb Mastkälber Krankheitsbilder entwickeln, die den Einsatz von Antibiotika nötig machen. «Besonders in den ersten Lebenswochen sind viele Tiere hohen Infektionsrisiken ausgesetzt», so Mireille Meylan. «Beim Transport vom Geburtshof zum Mastbetrieb werden sie mit anderen Kälbern gemischt. Bei der Ankunft kommen sie in noch grössere Gruppen. So verbreiten sich Krankheitserreger sehr schnell». Genau hier setzt das «Freiluftkalb»-Konzept an.

Quarantäne, Impfung und frische Luft

Im neuen Mastkonzept sollen Mäster neue Kälber nur von Höfen zukaufen, die in ihrer Nähe liegen. So sind die Transportwege kurz und es müssen keine Tiere aus verschiedenen Betrieben gemischt werden. Die ersten Wochen nach der Ankunft bleiben die Tiere in Einzeliglus im Freien und werden gegen Lungenentzündungen geimpft. Erst nach dieser Quarantäne kommen sie in kleine Gruppen von maximal zehn Kälbern zusammen. In diesen verbringen sie die restliche Zeit ihrer durchschnittlich viermonatigen Mastdauer. Dabei bleiben sie stets im Aussenbereich, wo sie über ein Gruppeniglu sowie einen mehrheitlich überdachten, reichlich eingestreuten Auslauf verfügen.
 

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Das «Freiluftkalb»-Konzept auf einem Versuchsbetrieb: Links die Einzeliglus für frisch angekommene Kälber, rechts zwei Gruppeniglus mit überdachtem und eingestreutem Auslauf für ältere Kälber (nach der Quarantäneperiode). © NFP 72, Nadine Kägi

Gesündere Kälber

Die Arbeitsgruppe um Meylan konnte 19 Kälbermastbetriebe rekrutieren, die das neue Konzept während je 12 Monaten testeten. Bei den regelmässigen Untersuchungen zeigte sich, dass bei den «Freiluftkälbern» nicht nur weniger Atemwegs- und Verdauungskrankheiten auftraten als in den Vergleichsbetrieben, sondern auch frühzeitige Todesfälle seltener waren.

Deutlich weniger Antibiotika

Die Erwartungen der Forschenden wurden jedoch vor allem in Bezug auf die Reduktion des Antibiotikaeinsatzes deutlich übertroffen: Auf den Vergleichsbetrieben wurde jedes zweite Kalb im Verlauf seines Lebens mit Antibiotika behandelt, während nur jedes sechste «Freiluftkalb» Antibiotika benötigte. Bei der Behandlungsdauer war der Unterschied noch grösser: In Betrieben mit dem neuen Konzept wurden über fünfmal weniger Behandlungstage als auf den Vergleichsbetrieben verzeichnet.

Wirtschaftlich kaum Unterschiede

Schliesslich analysierten Mireille Meylan und ihr Team auch die wirtschaftlichen Aspekte. Sie kamen zum Ergebnis, dass die Mast nach «Freiluftkalb» jener nach konventionellen Methoden wirtschaftlich weitgehend ebenbürtig ist. Der leicht höhere Arbeitsaufwand fürs «Freiluftkalb» wurde unter anderem durch die tiefere Sterblichkeit und eine gute Tagesmastleistung kompensiert.
 

Letzte Änderung 11.09.2023

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