Rationale Antibiotikatherapie in der pädiatrischen Praxis

Antibiotika gehören in der Kinder- und Jugendmedizin zu den am häufigsten eingesetzten Medikamenten. Daten aus Deutschland, den USA und der Schweiz zeigen, dass ein Grossteil der Antibiotikaverordnungen in der Kinder- und Jugendmedizin bei Atemwegsinfektionen erfolgt. Bei geschätzt einem Drittel davon ist der Einsatz von Antibiotika unnötig. Hier setzt die rationale Therapie an: Mit Antibiotika behandelt werden sollen nur Kinder und Jugendliche, die mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer solchen Therapie profitieren.  

Wie auch in vielen anderen Ländern erfolgen rund 85 % aller Antibiotikaverordnungen in der Schweiz im ambulanten Bereich. Dabei erhalten Kinder und Jugendliche im Vergleich zu Erwachsenen überproportional viele Antibiotika. Bei Kindern bis zu elf Jahren werden sie hauptsächlich bei Atemwegserkrankungen eingesetzt, bei Jugendlichen vorwiegend zur Therapie von Akne.
In der Kinder- und Jugendmedizin ist ein häufiges Therapieziel, kurzfristige oder langfristige Komplikationen zu verhindern. Dabei ist die Anzahl betroffener Kinder, die behandelt werden müssen, um Fälle von typischen Komplikationen zu verhindern, meist sehr hoch. Initiativen, welche die rationale Verwendung von Antibiotika fördern, sind deshalb in der Pädiatrie besonders wünschenswert. Eine rationale Antibiotikatherapie will den direkten Nutzen für Kinder und Jugendliche maximieren und die Risiken minimieren. In der Regel bedeutet dies: Antibiotika seltener und gezielter einsetzen. Das führt zu einer Reduktion des Selektionsdrucks auf Bakterien und hat einen positiven Effekt auf die allgemeine antimikrobielle Resistenzlage.

Das «5 D» Gerüst als Stütze im Praxisalltag und die AWaRe-Klassifizierung

Als Hilfestellung, wie Antibiotika im Alltag von Ärztinnen und Ärzten einzusetzen sind, kann ein Gerüst dienen, das sich vereinfacht mit den «5 D» zusammenfassen lässt: Disease (Indikation), Drug (Wahl des Antibiotikums), Dose (Dosierung), Delivery (Verabreichungsform) and Duration (Dauer der Verabreichung). Für eine optimale Antibiotikatherapie müssen alle fünf Dimensionen in die Entscheidungsfindung einfliessen.

Weiter muss berücksichtigt werden, welche Arten von Antibiotika empfohlen werden. Die WHO unterteilt die Antibiotika in drei Gruppen (AWaRe-Klassifizierung):

  •  «Access» (Zugang): Die «Access»-Gruppe umfasst Antibiotika, die bei entsprechender Indikation prioritär zu verordnen sind, weil hier das Risiko einer Resistenz geringer ist als bei anderen Medikamenten.
  • «Watch» (mit Vorsicht einsetzen): Die «Watch»-Gruppe umfasst Antibiotika, die nur in seltenen Fällen als erste Behandlung eingesetzt werden sollen und meistens mit einem grösseren Risiko einer Resistenz verbunden sind.
  • «Reserve»: Diese Antibiotika sollten nur eingesetzt werden, wenn keine anderen mehr wirken. Die «Reserve»-Gruppe spielt im ambulanten Bereich eine vernachlässigbare Rolle.

International gilt es, Antibiotika der Gruppe «Access» prioritär einzusetzen. Ziel ist es, dass möglichst viele der genutzten Antibiotika aus der «Access»-Gruppe kommen (s. Abbildung). In der Schweiz liegt dieser Anteil bei 66 % und somit über dem Ziel der WHO von 60%. Die Erfahrung anderer Länder, wie beispielsweise Dänemark (79%), zeigen jedoch, dass dieser Anteil deutlich erhöht werden kann.

antibiotic consumption ddd DE
Abbildung 1: Antibiotikakonsum in definierten Tagedosen pro 1000 Einwohner pro Tag (DDD) für alle Altersgruppen von 2008 bis 2022 – unterteilt nach den drei Gruppen der AWaRe-Klassifizierung. Die Grafik zeigt eine deutliche Abnahme der Therapie mit Antibiotika der «Watch»-Gruppe beim Menschen. Quelle: Anresis basierend auf Daten von IQVIA™.

Das antibiotische Handbuch der WHO und weitere Instrumente

Das Ende 2022 publizierte Handbuch enthält Empfehlungen für 20 weltweit im ambulanten Bereich häufige Indikationen sowie für 16 spitalspezifische Indikationen. Für die Schweiz wurden durch die Schweizerische Gesellschaft für Infektiologie nationale Richtlinien erarbeitet und auf ssi.guidelines.ch publiziert. Die darin dargestellten Informationen können auch verknüpft mit Resistenzdaten über das Tool ANRESIS.guide (vormals infect.info) abgerufen werden.

Ein im Rahmen von StAR erarbeitetes Infoblatt für Kinderärztinnen und Kinderärzte zur Verschreibung von Antibiotika bei Kindern liefert weitere wertvolle Informationen für die Praxis. Zudem hat das Berner Institut für Hausarztmedizin (BIHAM) eine Entscheidungshilfe erstellt, welche die Haus- und Kinderärztinnen bzw. -ärzte bei der partizipativen Entscheidungsfindung mit Eltern unterstützen. Einfach verständliche Grafiken zeigen die Vor- und Nachteile einer Therapie mit und ohne Antibiotika für eine der häufigsten Infektionskrankheiten in der Pädiatrie: Otitis Media. Die Hilfe eignet sich auch optimal als Denkanstoss und Trainingshilfe für Qualitätszirkel.

Fazit

Antibiotikatherapien « für den Fall der Fälle » gehören der Vergangenheit an, denn die Annahme «nützts nüt, so schaads nüt » unterliegt bei Antibiotika einem Irrtum. Mit einem strukturierten Vorgehen kann die Antibiotika-Exposition von Kindern und Jugendlichen reduziert werden. Gleichzeitig kann sichergestellt werden, dass minderjährige Patientinnen und Patienten mit einer klaren Indikation eine optimale Therapie erhalten.

Zusammenfassung eines Beitrags zur Fortbildung von PD Dr. med. Julia Anna Bielicki und Dr. med. Malte Kohns Vasconcelos, Universitäts-Kinderspital beider Basel, Basel; erschienen in Vol.34/1-2023 der Zeitschrift PAEDRIATICA.

Letzte Änderung 02.11.2023

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