Der «Swiss Antibiotic Resistance Report» (SARR) ist der nationale Bericht zur Lage der Antibiotikaresistenzen in der Schweiz. Der Bericht fokussiert nicht nur auf Antibiotikaverbrauch und Resistenzen in der Human- und in der Veterinärmedizin, sondern auch auf die Auswirkungen in der Umwelt (One-Health-Ansatz).
Antibiotikaresistenzen entstehen, wenn Bakterien unempfindlich oder weniger empfindlich gegenüber Antibiotika werden. Solche resistenten Bakterien können die Behandlung von Infektionen verlängern oder sogar unmöglich machen. Deshalb wurde 2015 die Strategie Antibiotikaresistenzen Schweiz (StAR) lanciert. Teil der Strategie ist die Überwachung von Resistenzen und Antibiotikaeinsatz beim Menschen, bei Nutz- und Heimtieren sowie in der Umwelt. Die Ergebnisse dieses Montorings werden seit 2016 alle 2 Jahre im SARR publiziert.
SARR 2022
Erfahren Sie hier die wichtigsten Kennzahlen und Resultate aus dem SARR 2022.
Interview mit Andreas Kronenberg, Projektleiter Schweizerische Zentrum für Antibiotikaresistenzen ANRESIS.
Antibiotikaverbrauch
Jedes Mal, wenn Antibiotika zum Einsatz kommen, können resistente Bakterien entstehen. Deshalb ist es entscheidend, diese Medikamente richtig einzunehmen. Es gilt: «So viel wie nötig, so wenig wie möglich», und «richtig ist wichtig». Die Überwachung des Antibiotikaeinsatzes in Human-und Veterinärmedizin ist deshalb zentral.
Humanmedizin
In der Humanmedizin ist der Antibiotikaverbrauch während der Covid-19 Pandemie deutlich zurückgegangen.
In der Humanmedizin sank der Gesamtverbrauch an Antibiotika (ambulanter und Spital-Bereich) seit 2019 um 19 %. Die Massnahmen zur Bewältigung der Covid-19 Pandemie wie Kontaktbeschränkungen oder Maskentragen dürften hierbei eine erhebliche Rolle gespielt haben. Im europäischen Vergleich gehört die Schweiz damit zu den Ländern mit dem niedrigsten Verbrauch. Insbesondere bei den für die Resistenzentwicklung besonders kritischen Antibiotika der «Watch»-Gruppe konnte in den letzten 10 Jahren ein Rückgang um fast 40 % erreicht werden Ihr Anteil an allen Antibiotika-Verschreibungen sank 2019 zum ersten Mal unter die von der WHO vorgegebene Zielgrösse von 40 %. Im europäischen Vergleich gehört die Schweiz damit weiterhin zu den Ländern mit dem niedrigsten Verbrauch.
85 % der verbrauchten Antibiotika werden im ambulanten Bereich eingesetzt, die restlichen 15 % in den Spitälern. Es gibt in der Schweiz ausgeprägte regionale Unterschiede beim Verbrauch: In den französisch- und italienischsprachigen Regionen der Schweiz ist der Antibiotikaverbrauch pro Einwohner über dem nationalen Durchschnitt, in der Deutschschweiz liegt er darunter.
Einsatz von Antibiotika in der Humanmedizin
y-Achse: Definierte Tagesdosen pro 1000 Einwohner pro Tag
AWaRe-Kategorie "Access" | AWaRe-Kategorie "Watch" | AWaRe-Kategorie "Reserve" | |
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2002 | 4.6 | 5.1 | 0.012 |
2003 | 5.0 | 5.2 | 0.013 |
2004 | 4.9 | 5.0 | 0.017 |
2005 | 5.0 | 5.5 | 0.019 |
2006 | 5.4 | 5.6 | 0.020 |
2007 | 5.5 | 5.7 | 0.020 |
2008 | 5.8 | 5.7 | 0.020 |
2009 | 5.8 | 5.6 | 0.024 |
2010 | 5.9 | 5.5 | 0.028 |
2011 | 6.0 | 5.4 | 0.030 |
2012 | 6.1 | 5.3 | 0.031 |
2013 | 6.4 | 5.3 | 0.031 |
2014 | 6.2 | 4.9 | 0.029 |
2015 | 6.3 | 4.8 | 0.037 |
2016 | 6.4 | 4.5 | 0.039 |
2017 | 6.2 | 4.3 | 0.041 |
2018 | 6.5 | 4.1 | 0.040 |
2019 | 6.6 | 3.9 | 0.040 |
2020 | 5.7 | 3.2 | 0.037 |
2021 | 5.6 | 2.9 | 0.033 |
2022 | 6.7 | 3.3 | 0.039 |
Quelle: SARR22, Daten: IQVIA™ Sales Data (Sell-In) from pharmaceutical industries (Arzneimittel) to public pharmacies, self-dispensing physicians and hospitals
Veterinärmedizin
In der Veterinärmedizin ist der Antibiotikaverbrauch weiter zurückgegangen
Für die Behandlung von Tieren wurden 2021 etwa 28 Tonnen Antibiotika eingesetzt. Damit sank die Gesamtmenge gegenüber 2019 um rund 6 %. Seit 2012 konnte der Antibiotika-verbrauch im Veterinärbereich um etwa die Hälfte reduziert werden. Der Verbrauch von sogenannten kritischen Antibiotika, die für die Humanmedizin besonders wichtig sind, ging zwischen 2019 und 2021 weiter zurück; seit 2016 ist ein Rückgang um 46 % erreicht worden. Bei Heimtieren hat der Antibiotikavertrieb in den letzten zehn Jahren um 19 % abgenommen. Nur 3 % der verbrauchten Antibiotika sind ausschliesslich für Heimtiere zugelassen.
Mit der Einführung der Datenbank zum Antibiotikaverbrauch in der Veterinärmedizin (IS ABV-Datenbank) im Jahr 2019 können nun auch detaillierte Daten zu Antibiotikaeinsatz bei Tieren präsentiert werden. Diese Anwendungsdaten werden von Tierärztinnen und Tierärzten bereitgestellt, die seit Oktober 2019 alle ihre Behandlungen und Verschreibungen von Antibiotika bei Nutz- und Haustieren elektronisch erfassen müssen. Im SARR-Bericht 2022 werden diese Informationen zum ersten Mal veröffentlicht. Aufgrund der fehlenden Vergleichsdaten, ist es noch nicht möglich, die Entwicklung der Verschreibungspraxis bei Tieren zu untersuchen. Solche Analysen werden in den nächsten Jahren erfolgen.
Der Antibiotikaeinsatz im Jahr 2020 war bei Nutztieren 23 Tonnen (gerundet) und bei Heimtieren 1,7 Tonnen (gerundet). Anteilsmässig war der höchste Einsatz bei Nutztieren bei Rindern und bei Heimtieren bei Pferden (siehe Grafik).
Antibiotikaresistenzen
Sind die Bakterien, die eine Infektion verursachen, resistent gegen gewisse Antibiotika, wird eine Behandlung erschwert oder gar verunmöglicht. Die seit 2004 beim Menschen und seit 2006 bei Tieren erhobenen Resistenzdaten zeigen unterschiedliche Entwicklungen: Bei einigen Bakterien und Antibiotika hat die Resistenz deutlich zugenommen, während sie bei anderen stabil geblieben oder gesunken ist. In den letzten Jahren zeichnet sich eine Stabilisierung der Resistenzraten ab.
Humanmedizin
In der Humanmedizin haben sich die Resistenzraten stabilisiert
Auf Basis einer Modellrechnung kann die Anzahl der Todesfälle und Krankheitslast durch Infektionen mit resistenten Erregern geschätzt werden. Für die Schweiz schätzt man, dass jährlich etwa 300 Menschen an resistenten Infektionen sterben. Die Schweiz ist im Verhältnis zur Bevölkerungszahl weniger von Infektionen durch resistente Bakterien betroffen als Frankreich oder Italien, aber stärker betroffen als die Niederlande oder die skandinavischen Länder.
In der Humanmedizin haben sich die Resistenzraten insgesamt stabilisiert. Bei einigen Erregern hat sich der Anteil resistenter Erreger bei invasiven Infektionen (z.B. Blutvergiftung) in den letzten 15 Jahren deutlich reduziert, z.B. bei Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA), für die sich die Resistenzraten halbiert haben. Die zwischen 2004-2015 deutlich gestiegenen Resistenzraten gegenüber bestimmten Antibiotikaklassen (Fluorochinolone und Cephalosporine) bei den Erregern E. coli und K. pneumoniae haben sich in den letzten 5 Jahren stabilisiert. Die Resistenz dieser Erreger gegen Carbapeneme (Carbapenemase-produzierende Enterobakterien (CPE) stellt eine besondere Bedrohung für die öffentliche Gesundheit dar, weshalb seit 2016 eine Meldepflicht besteht. Die Zahl der gemeldeten Fälle stieg seither stetig an, ist jedoch im Vergleich zu einigen Nachbarländern auf einem niedrigen Niveau.
Multiresistente Mikroorganismen in invasiven Isolaten
y-Achse: Anteil multiresistenter Mikroorganismen in %
FQR-E.coli: Fluorchinolon-resistente Escherichia coli | ESCR-E.coli: Extended-spectrum Cephalosporin-resistente Escherichia coli | ESCR-KP: Extended-spectrum Cephalosporin-resistente Klebsiella pneumoniae | PNSP: Penicillin-resistente Streptococci pneumoniae | MRSA: Methicillin-resistente Staphylococci aurei | VRE: Vancomvcin-resistente Enterokokken (Enterococcus faecalis und Enterococcus faecium) | |
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2004 | 10.6 % | 0.9 % | 1.3 % | 9.4 % | 12.9 % | 0.9 % |
2005 | 11.1 % | 1.6 % | 2.5 % | 7.7 % | 9.9 % | 1.3 % |
2006 | 12.0 % | 2.6 % | 1.7 % | 7.1 % | 10.0 % | 0.3 % |
2007 | 16.2 % | 2.6 % | 3.8 % | 11.2 % | 10.6 % | 0.3 % |
2008 | 15.7 % | 4.1 % | 2.9 % | 8.7 % | 10.1 % | 1.8 % |
2009 | 16.1 % | 4.6 % | 4.0 % | 7.5 % | 9.3 % | 1.5 % |
2010 | 19.1 % | 5.7 % | 5.0 % | 6.6 % | 8.5 % | 0.8 % |
2011 | 18.2 % | 6.9 % | 6.6 % | 5.6 % | 7.9 % | 0.9 % |
2012 | 18.3 % | 9.5 % | 6.1 % | 7.2 % | 6.7 % | 0.3 % |
2013 | 18.7 % | 8.5 % | 8.7 % | 5.9 % | 5.5 % | 0.4 % |
2014 | 19.0 % | 9.7 % | 9.9 % | 7.6 % | 5.7 % | 0.3 % |
2015 | 20.5 % | 11.0 % | 8.9 % | 5.7 % | 4.4 % | 0.4 % |
2016 | 18.6 % | 10.4 % | 7.9 % | 6.4 % | 4.6 % | 0.6 % |
2017 | 20.3 % | 10.6 % | 7.1 % | 6.5 % | 4.3 % | 1.1 % |
2018 | 20.5 % | 11.7 % | 9.3 % | 6.5 % | 4.9 % | 1.7 % |
2019 | 18.8 % | 11.6 % | 8.3 % | 6.5 % | 3.5 % | 0.6 % |
2020 | 18.7 % | 10.8 % | 7.7 % | 5.9 % | 4.6 % | 1.1 % |
2021 | 18.0 % | 10.9 % | 8.9 % | 6.7 % | 4.5 % | 0.7 % |
2022 | 17.4 % | 11.5 % | 10.9 % | 4.8 % | 3.7 % | 1.2 % |
2023 | 20.8 % | 13.0 % | 11.1 % | 6.8 % | 4.2 % | 0.8 % |
Quelle: SARR22, Daten: ANRESIS
Veterinärmedizin
Indikatorbakterien, die von gesunden Tieren gesammelt wurden, zeigen ein unterschiedliches Bild der Antibiotikaresistenz
Die Überwachung von Antibiotikaresistenzen bei sogenannten Indikatorbakterien aus gesunden Schlachttieren soll Hinweise liefern, welche Resistenzen in Darmbakterien tierischen Ursprungs vorkommen. Diese Bakterien verursachen selber normalerweise keine Krankheiten, können aber die Resistenzen an andere Bakterien weitergeben, auch an solche, die beim Menschen Krankheiten verursachen können. Jeder Einsatz von Antibiotika kann in der Darmflora der betroffenen Tiere zu einer Selektion von resistenten Keimen führen. Folglich sind Indikator-E. coli ein nützliches Instrument zur Beobachtung von Resistenzentwicklungen und zur Verfolgung der Resistenzverbreitung.
Bei E. coli-Bakterien im Darm von Masthühnern, Mastschweinen und Schlachtkälbern haben sich die Resistenzraten zwischen 2019 und 2021 unterschiedlich entwickelt. Während sie bei Masthühnern sanken, blieben sie bei Mastschweinen und Schlachtkälbern in etwa stabil.
Anteil resistenter E. coli in gesunden Schlachttieren 2013-2022
Ampicillin | Chloramphenicol | Ciprofloxacin | Gentamicin | Nalidixinsäure | Sulfamethoxazole | Tetrazyklin | Trimethoprim | |
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2006 | 48.4% | 25.9% | 4.7% | 5.6% | 3.6% | 64.2% | 56.5% | - |
2007 | - | - | - | - | - | - | - | - |
2008 | 2.5% | 1.2% | 3.8% | 1.2% | 1.2% | 7.5% | 6.2% | 7.5% |
2009 | 6.8% | 0.8% | 1.5% | 0 | 0.8% | 15.9% | 16.7% | 4.5% |
2010 | 39.1% | 17.4% | 4.3% | 5.4% | 3.3% | 55.4% | 51.1% | 20.7% |
2011 | 17.7% | 11.6% | 4.3% | 3.7% | 3.7% | 35.4% | 36.6% | 11.0% |
2012 | 14.4% | 3.7% | 3.2% | 5.9% | 3.2% | 26.2% | 24.6% | 11.2% |
2013 | 27.3% | 9.7% | 7.4% | 3.4% | 7.4% | 46.0% | 38.1% | 22.2% |
2014 | - | - | - | - | - | - | - | - |
2015 | 36.8% | 11.6% | 6.8% | 5.8% | 6.3% | 41.6% | 40.5% | 15.8% |
2016 | - | - | - | - | - | - | - | - |
2017 | 38.7% | 9.8% | 3.6% | 4.6% | 3.6% | 46.9% | 41.2% | 19.1% |
2018 | - | - | - | - | - | - | - | - |
2019 | 26.1% | 7.0% | 4.5% | 4.0% | 4.0% | 31.2% | 36.2% | 13.1% |
2020 | - | - | - | - | - | - | - | - |
2021 | 26.1% | 7.2% | 0.6% | 6.7% | 0.6% | 27.2% | 28.3% | 12.2% |
2022 | - | - | - | - | - | - | - | - |
Ampicillin | Chloramphenicol | Ciprofloxacin | Gentamicin | Nalidixinsäure | Sulfamethoxazole | Tetrazyklin | Trimethoprim |
Quelle: SARR22
Umwelt
Neue Methoden ermöglichen ein besseres Verständnis der Verbreitung von Antibiotikaresistenzen
Resistente Bakterien können genau wie nicht resistente Bakterien zwischen Menschen und Tieren übertragen werden und viele verschiedene und komplexe Übertragungswege gebrauchen (Graphik). Im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms zu Antimikrobiellen Resistenzen (NFP 72) untersuchten verschiedene Projekte die Verbreitung von Resistenzen mithilfe neuer DNA-Sequenzierungstechniken (Next Generation Sequencing, NGS). Dabei konnte unter anderem eine hohe Besiedelung mit resistenten Erregern bei Reiserückkehrern festgestellt werden. Auch wurden Übertragungen resistenter Erreger von aus dem Krankenhaus entlassenen Patientinnen und Patienten auf ihre Angehörigen nachgewiesen, sowie zwischen Mitarbeitenden in Tierkliniken und den dort behandelten Tieren. Um den Beitrag dieser Übertragungswege genauer zu bestimmen, bedürfte es einer systematischen Ausweitung des NGS: Ziel dieser Untersuchungen muss dabei sein, relevante Erkenntnisse für die Kontrolle resistenter Erreger zu gewinnen und diese durch gezielte Massnahmen im Rahmen der StAR zu nutzen.
Ursachen und Übertragungswege von antibiotikaresistenten Bakterien
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Letzte Änderung 24.10.2023
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