Antibiotikaeinsatz und Antibiotikaresistenzen in der Schweiz
Die Überwachung von Antibiotikaeinsatz und Resistenzen beim Menschen, bei Nutz- und Heimtieren sowie in der Umwelt ist ein wichtiger Teil der Strategie Antibiotikaresistenzen Schweiz (StAR) und des One Health-Aktionsplan StAR 2024-2027. Die Ergebnisse dieser Überwachung werden seit 2016 alle 2 Jahre im «Swiss Antibiotic Resistance Report (SARR)» zusammengefasst.
Entwicklung des Antibiotikaverbrauchs
Jedes Mal, wenn Antibiotika zum Einsatz kommen, können resistente Bakterien entstehen. Deshalb ist es entscheidend, dass diese Medikamente bei Mensch und Tier möglichst sachgemäss verwendet werden. Es gilt, Antibiotika so viel wie nötig, aber so wenig wie möglich einzusetzen. Wichtig ist auch, dass das richtige Antibiotikum eingesetzt wird, in der richtigen Dosis und für die richtige Dauer. Daher wird der Verkauf und Einsatz von Antibiotika überwacht und analysiert.
In der Humanmedizin ist der Antibiotikaverbrauch nach der Covid-19 Pandemie wieder angestiegen
In der Humanmedizin betrug der Gesamtverbrauch an Antibiotika (Praxen und Spitäler) 2023 insgesamt 10,8 DID (definierte Tagesdosen pro 1000 Einwohner und Tag). Damit ist der Verbrauch nach einem deutlichen Rückgang während der Covid-19 Pandemie (2021: 8,6 DID) wieder auf ein ähnliches Niveau wie 2019 (10.6 DID, +3 %) zurückgekehrt. Eine Rolle dürfte hierbei die starke Welle von Atemwegserkrankungen im Winter/Frühjahr 2023 gespielt haben. Im europäischen Vergleich gehört die Schweiz aber weiterhin zu den Ländern mit dem niedrigsten Verbrauch.
Bei den besonders kritischen Antibiotika der «Watch»-Gruppe konnte seit 2014 ein Rückgang um 26 % erreicht werden. Entsprechend konnte der Anteil am Gesamtverbrauch der weniger kritischen «Access»-Antibiotika, welche als erste Wahl verschrieben werden sollten, auf 66 % gesteigert werden. Seit 2019 überschreitet die Schweiz damit den Zielwert der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von 60 %. Ziel des Aktionsplans ist eine weitere Verbesserung des Anteils auf 69 %.
In der Schweiz wurden 87 % der Antibiotika in Praxen eingesetzt und 13 % in Spitälern
Es gibt in der Schweiz ausgeprägte regionale Unterschiede beim Verbrauch: In der Deutschschweiz ist der Antibiotikaverbrauch pro Einwohner mit 7,8 DID niedriger als in der französisch- (13,1 DID) und italienischsprachigen (12,4 DID) Schweiz. Ziel des Aktionsplans ist es, diese regionalen Unterschiede zu verringern. Von den Hausärztinnen und Hausärzten wurden 2023 die meisten Antibiotika bei Erkrankungen der oberen Atemwege (30 %) und bei Harnwegsinfekten (28 %) eingesetzt. Bei rund 20 % der Verschreibungen wurden Antibiotikaklassen eingesetzt, die nicht von den nationalen Richtlinien empfohlen werden.
Antibiotika Pro-Kopf-Verbrauch in der Humanmedizin (Einheit: Definierte Tagesdosen pro 1000 Einwohner pro Tag) nach AWaRe (Access-, Watch- und Reserve-Antibiotika) Kategorien.
In der Veterinärmedizin ist der Antibiotikaverbrauch weiter zurückgegangen
Antibiotika werden zur Behandlung von bakteriellen Infektionen eingesetzt. Im Jahr 2023 waren es in der Schweizer Veterinärmedizin insgesamt 24 Tonnen, wobei der Grossteil davon bei Nutztieren und lediglich etwa 3% bei Heimtieren zum Einsatz kam. Somit wurden 2023 14% weniger Antibiotika an Tierärzte verkauft als 2021 und sogar 48% weniger als 2014. Insbesondere konnte der rückläufige Trend auch bei den sogenannten kritischen Antibiotika, deren Potential zur Resistenzbildung besonders problematisch ist und die nur bei bestimmten Infektionen eingesetzt werden sollen, fortgesetzt werden. Bei Nutztieren konnte seit 2014 ein Rückgang um 76 % erreicht werden, bei Heimtieren hat der Antibiotikavertrieb in den letzten zehn Jahren um 19 % abgenommen. Im europäischen Vergleich gehört die Schweiz bereits zu den Ländern mit einem relativ niedrigen Antibiotikaeinsatz. Ziel ist es bis 2027 beim Vertrieb kritischer Antibiotika unter den fünf besten Ländern in Europa zu sein.
Seit 2019 erfasst die Tierärzteschaft zudem alle Antibiotikaverschreibungen im Informationssystem Antibiotikaverbrauch (IS ABV). Die Auswertung dieser Daten belegt, dass bei allen Tierarten hauptsächlich die primär empfohlenen Antibiotika eingesetzt werden und damit die Therapieleitfäden durch Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte gut berücksichtigt werden. Bei den Nutztieren werden Rinder mit 564 Behandlungen pro 1000 Tiere am häufigsten mit Antibiotika behandelt, gefolgt von Geflügel, kleinen Wiederkäuern (Schafe, Ziegen) und Schweinen mit jeweils weniger als 80 Behandlungen pro 1000 Tiere.
Verkauf kritischer Antibiotika in der Veterinärmedizin (Nutz- und Heimtiere) in Kilogramm.
Die Antibiotikabelastung in Flüssen, Seen und im Grundwasser kann durch ausgebaute Kläranlagen reduziert werden
Eingenommene Antibiotika werden von Mensch und Tier zum Teil wieder ausgeschieden und gelangen auf diese Weise in Abwasser, Gewässer und Böden. Die gemessenen Konzentrationen von Antibiotika nehmen dabei vom Abwasser bis hin zum Flusswasser durch Verdünnung ab. Vom Flusswasser zum Grundwasser sinken die Konzentrationen zusätzlich, da Antibiotika während der Uferfiltration oder Bodenpassage teilweise abgebaut oder zurückgehalten werden.
Konventionelle Kläranlagen können Antibiotika nur unvollständig entfernen. Zusätzliche Behandlungsstufen zur Elimination von Mikroverunreinigungen können hingegen die gemessenen Konzentrationen an Antibiotika um das zehnfache reduzieren. Im Jahr 2024 wurden etwa 15 % der Schweizer Abwässer in einer solchen Behandlungsstufe gereinigt, bis 2040 sollen es 70 % sein. Messungen im Furtbach (AG/ZH) zeigen, dass die Konzentration von Antibiotika durch die Aufrüstung einer Kläranlage so weit gesenkt wird, dass der Grenzwert der Umweltqualitätsnormen nicht mehr überschritten wird. Nach heutigem Kenntnisstand ist es unwahrscheinlich, dass die in Schweizer Gewässern gemessenen Antibiotikakonzentrationen die Entwicklung von Resistenzen direkt fördern.
Entwicklung der Resistenzsituation
Viele Mikroorganismen finden sich natürlicherweise in der Umwelt sowie auf der Haut, den Schleimhäuten oder im Darm von Mensch und Tier (u. a. zur Verdauung). Dringen diese Bakterien jedoch in den Körper ein und vermehren sich übermässig, spricht man von einer Infektion. Dies passiert z. B. bei geschädigter Haut oder Schleimhaut oder bei Immunschwäche. Sind die Bakterien, die eine Infektion verursachen, resistent gegen gewisse Antibiotika, wird eine Behandlung erschwert oder gar verunmöglicht.
Seit etwa 20 Jahren werden in der Schweiz bei Mensch und Tier Resistenzraten erhoben. Diese werden dabei immer für ein bestimmtes Bakterium und eine Antibiotikaklasse angegeben. Bei den wichtigsten Erregern und Antibiotika zeigen sich unterschiedliche Entwicklungen: Bei einigen Bakterien hat die Antibiotikaresistenz deutlich zugenommen, während sie bei anderen stabil geblieben oder gesunken ist. Insgesamt zeichnet sich in den letzten Jahren eine Stabilisierung der Resistenzraten ab.
In der Humanmedizin haben sich die Resistenzraten stabilisiert
Basierend auf den Resistenzdaten kann mittels einer Modellrechnung die Krankheitslast und die Anzahl der Todesfälle durch Resistenzen geschätzt werden. Für die Schweiz schätzt man, dass die Krankheitslast bei etwa 85 Infektionen pro 100 000 Einwohnern liegt und jährlich etwa 300 Menschen an Infektionen mit resistenten Erregern sterben. Die Schweiz ist damit im Verhältnis zur Bevölkerungszahl weniger stark von Infektionen durch resistente Bakterien betroffen als Frankreich oder Italien, aber stärker als die Niederlande oder die skandinavischen Länder.
In der Humanmedizin haben sich die Resistenzraten insgesamt stabilisiert. Bei einigen Erregern hat sich der Anteil resistenter Erreger bei invasiven Infektionen (z.B. Blutvergiftung) in den letzten 15 Jahren deutlich reduziert, z.B. bei Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA), für die sich die Resistenzraten halbiert haben. Die zwischen 2004-2015 deutlich gestiegenen Resistenzraten gegenüber bestimmten Antibiotikaklassen (Fluorochinolone und Cephalosporine) bei den Erregern E. coli und K. pneumoniae haben sich in den letzten 5 Jahren stabilisiert. Die Resistenz dieser Erreger gegen Carbapeneme (Carbapenemase-produzierende Enterobakterien (CPE) stellt eine besondere Bedrohung für die öffentliche Gesundheit dar, weshalb seit 2016 eine Meldepflicht besteht. Die Zahl der gemeldeten Fälle stieg seither stetig an, ist jedoch im Vergleich zu einigen Nachbarländern auf einem niedrigen Niveau.
Resistenzen Humanbereich bei wichtigen Erregern: Anteil von Bakterien, die gegen bestimmte Antibiotika resistent sind aus invasiven Infektionen.
Die Überwachung der Resistenzraten bei Tieren erfolgt über zwei unterschiedliche Monitoring-Systeme. Zur Abschätzung des potentiellen Risikos für den Menschen werden kommensale Indikatorbakterien sowie zoonotische Bakterien bei gesunden Schlachttieren und Fleisch überwacht. Kommensale Indikatorbakterien verursachen selber normalerweise keine Krankheiten, können aber die Resistenzen an andere Bakterien weitergeben, auch an solche, die beim Menschen Krankheiten verursachen können. Die Überwachung von Indikatorbakterien, insbesondere E. coli, bei Schlachttieren und auf Fleisch gibt somit einen guten Überblick der Resistenzentwicklung. Zoonotische Bakterien können von Tieren oder Lebensmitteln auf den Menschen übertragen werden. Die dadurch hervorgerufenen Krankheiten nennt man Zoonosen.
Zudem werden seit 2019 Resistenzen bei krankmachenden Bakterien für Nutz- und Heimtiere überwacht. Diese Daten geben eine Orientierung bei der Wahl der Antibiotika, die zur Behandlung eingesetzt werden.
Bei Schlachttieren und Fleisch, sowie Nutz- und Heimtieren entwickeln sich Antibiotikaresistenzen unterschiedlich
Das Spektrum potentiell Krankheit verursachender Bakterien bei Nutz- und Heimtieren ist sehr breit. Damit ist auch die Resistenzsituation je nach Bakterienart und betroffener Tierart sehr unterschiedlich.
Resistenzraten Veterinärbereich: Anteil von Extended Spectrum-Cephalosporin-resistenten E. coli (resistent gegen Cephalosporine der 3./ 4. Generation) aus dem Blinddarm von Schlachttieren (Schlachtkälber, Mastschweine und Mastpoulets).
Der «Swiss Antibiotic Resistance Report» (SARR) ist der nationale Bericht zur Lage der Antibiotikaresistenzen in der Schweiz. Der Bericht fokussiert nicht nur auf Antibiotikaverbrauch und Resistenzen in der Human- und in der Veterinärmedizin, sondern auch auf die Auswirkungen in der Umwelt (One Health-Ansatz).